Pisa-Biestmilch: Was Schule und Kolostrum-Versorgung bei uns gemeinsam haben…

Wo stehen wir eigentlich beim Biestmilchmanagement in Deutschland aktuell? Leider gibt es keine absolut verfügbaren und repräsentativen Studien dazu derzeit bei uns, wohl aber zwei richtungsweisende Feldbeobachtungen.

Wo stehen wir eigentlich beim Biestmilchmanagement in Deutschland aktuell? Leider gibt es keine absolut verfügbaren und repräsentativen Studien dazu derzeit bei uns, wohl aber zwei richtungsweisende Feldbeobachtungen.

Gepostet von in Kälberaufzucht, Kälbergesundheit am 12. Juli 2024
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Pisa-Biestmilch: Was Schule und Kolostrum-Versorgung bei uns gemeinsam haben….

Wo stehen wir eigentlich beim Biestmilchmanagement in Deutschland aktuell? Leider gibt es keine absolut verfügbaren und repräsentativen Studien dazu derzeit bei uns, wohl aber zwei richtungsweisende Feldbeobachtungen.

Zum einen, die dreiteilige, über 20 Jahre angelegte Feldstudie der Firma MSD, nach der sich die Transferrate des erfolgreichen Übergangs der Biestmilchinhaltsstoffe ins Blut der Kälber von 61,2 % auf 73 % verbessert hat. Das bedeutet aber auch umgekehrt, dass eines von drei Kälbern immer noch nicht ausreichend mit Antikörpern nach Biestmilchgabe versorgt werden.

Abbildung 1: Übergang der IgG Antikörper ins Blut neugeborener Kälber (MSD Studien der letzten 20 Jahre, div. Autoren)

Einen ähnlichen Schluss lässt zum Zweiten die PraeRi-Studie, ebenfalls aus dem Jahre 2021 zu: Die durchschnittliche Menge an Erstkolostrum beträgt demnach nach Befragung von 765 Betrieben nur etwa gut 2,6 Liter. Legt man die allgemeine Empfehlung der Menge an Kolostrum von 10 % des Lebendgewichts (von durchschnittlich 38 kg) zugrunde, fehlen genau diese 30 % (1,2 kg Biestmilch), die auch nach der MSD Studie von 2021/2022 (Stemme et al.) die Unterversorgung im Bluteiweißbereich darstellen.

 „Nun, wir kennen es ja nicht anders, also wird das normal sein und was interessieren uns eigentlich andere Länder mit ihren Betrieben?“, mag so mancher Landwirt für sich denken. – So lokalpatriotisch das anmuten mag, so grundfalsch ist diese Einstellung. Die Welt ist global und man steht im Austausch und Wettbewerb. Sie kennen so sicherlich die berühmte „Pisa-Studie“, nach der die deutschen Schüler in den letzten Vergleichen stets nur mittelmäßige bis hintere Plätze belegten.

Leider stellen uns die internationalen Beobachter und Wissenschaftler auch nur „Mittelmaß“ beim Biestmilchmanagement unserer Kälber aus. Während die US-Amerikaner und Chinesen Erfolgsraten beim Übergang der Biestmilchinhaltsstoffe ins Kälberblut von 88 % bzw. 93 % aufweisen, stehen wir nur bei 73 %.

„Warum sind die denn nur so gut?“, werden sich viele Leser nun fragen. Nun, hier spielen im Wesentlichen zwei Aspekte eine Hauptrolle:

Einmal die möglichst stressfrei gestaltete Vorbereitungsphase (Close-up) der Kühe zum Kalben, die exakt solange ist, wie die Biestmilchproduktion auch an Zeit benötigt. Und zum anderen das eigentliche Biestmilchmanagement. Beides sollte Lehrbuchwissen, erstes Ausbildungsjahr eines jeden angehenden Landwirts sein. Aber warum machen wir dennoch so gut wie keine Fortschritte bei uns? Die Länder, die hier ganz vorne stehen, haben genau diese beiden Aspekte in den letzten 20 Jahren immer wieder weiter thematisiert und optimiert.

Bei uns hingegen steht meist die Kostenfrage vor der Nutzenfrage und am Ende fällt deshalb der Transitbereich selbst nach einem Neubau oft zu klein aus oder Umweltauflagen erschweren eine bedarfskonforme Umsetzung. Viele Betriebe wundern sich dann: „Wir haben zu wenig Biestmilch, woran kann das liegen?“

Und genau das ist das Dilemma und Mythos zugleich. Wir beschweren uns über zu wenig Biestmilch und ignorieren aber im selben Moment die bahnbrechenden Erkenntnisse der amerikanischen Universitäten aus den 2000er Jahren zu den fundamentalen Säulen erfolgreichen Transitmanagements, nämlich der stressfreien Haltung in den letzten 2-3 Wochen vor der erwartenden Kalbung um eine konstante Futter- und Wasseraufnahme zu garantieren.  Dabei wäre es so einfach umzusetzen, wenn man sich die natürlichen Bedürfnisse von hochtragenden Kühen nach viel mehr Individualabstand und erheblich eingeschränkter Mobilität vor Augen führen würde.

Genau hier schließt sich wieder der Kreis zur Pisa-Studie: Solange wir unseren Kindern keinen besonderen Spaß fürs Lernen vermitteln können, werden wir auch keine deutliche Verbesserung in der Rangliste erwarten können. Anders aber die Landwirte: Jeder könnte im Prinzip sofort morgen anfangen und optimieren. Am besten zusammen mit dem Hoftierarzt im Tandem und nicht erst, wenn wieder mal Probleme mit den Kälbern auftreten, sondern immer wieder mal auch zwischendurch die Kolostrum-Qualität dokumentieren und den Übergang ins Blut messen. Was in den USA und China Standard ist, kann doch kaum nur sinnloser Zeitvertreib sein, oder?

 

 

Ihr Peter Zieger

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