Die dritte Ausgabe der Smart Calf Rearing Conference am Hofgut Neumühle und dem Fraunhofer Institut in Kaiserslautern hat in vielfacher Hinsicht neue Maßstäbe gesetzt. Zum einen bei der Teilnehmerzahl und zum anderen, was die Vielfalt der internationalen Studien betrifft. Hier erfahrt ihr mehr…
Nordamerika und Europa rücken näher zusammen.
Die dritte Ausgabe der Smart Calf Rearing Conference am Hofgut Neumühle und dem Fraunhofer Institut in Kaiserslautern hat in vielfacher Hinsicht neue Maßstäbe gesetzt. Zum einen bei der Teilnehmerzahl und zum anderen, was die Vielfalt der internationalen Studien betrifft. So konnte man während der gesamten Veranstaltung erkennen, dass oft sehr unterschiedlichen Anschauungen der Europäer und der Nordamerikaner hinsichtlich der perfekten Kälberaufzucht immer näher zusammenrücken. Das zeigte sich im Speziellen in der ewig aktuellen Frage nach dem optimalen Tränkeregime bei Kälbern. Bisher klaffte hier die Anschauung am deutlichsten auseinander. Bei den Nordamerikanern konnte es mit rund 7 Wochen gar nicht schnell genug gehen, ein Kalb zum Wiederkäuer zu machen. Die europäischen Berater kehrten in der Mehrzahl von dieser Philosophie ab und tendieren zu höheren Tränkemengen und längerer Tränke wie Abtränkephase.
Was ist denn nun richtig, restriktiv oder intensiv?
Bislang wurde der überwiegende Teil der nordamerikanischen Kälber restriktiv mit maximal 4-6 Litern täglich bis zum Absetzen gefüttert und bereits nach 7 und spätestens 9 Wochen abgetränkt. Immer mehr Wissenschaftler aus Nordamerika schwenken jetzt auf die europäische Linie ein: Intensiv füttern und dabei auch noch über einen längeren Zeitraum behutsamer abtränken. Insbesondere neuere Studien legen nahe, dass man die Lebensleistung über eine stabilere Gesundheit und einen mehr auf „Effektivität“ programmierten Stoffwechsel deutlich steigern kann.
Das Besondere an einer Studie des Friedrich-Löffler-Institutes (FLI) aus Braunschweig war, dass Kälber, die „amerikanisch“ getränkt wurden, in der ersten Laktation zwar augenscheinlich mehr Milch gaben, als Kälber, die man erst nach 17 Wochen abgetränkt hatte. Bei der energie-korrigierten Milch hatten die spät abgesetzten Kälber aber die Nase wieder vorn. Dazu hatten alle früh abgesetzten Kälber nach der ersten Kalbung erhöhte Ketosewerte im Blut, während die spätabgesetzten Kälber nach der Abkalbung überhaupt keine Ketose entwickelten. Soviel zu den ersten Laktations-Erkenntnissen aus dieser Langzeitstudie. Dass bei den früh abgetränkten Kälbern die wichtigsten Hormone schon während des Abtränkens auf ein niedrigeres Niveau „programmiert“ wurden, scheint die Erklärung für eine erhöhte Stoffwechselanfälligkeit im späteren Alter zu sein.
Neben der täglichen Tränkemenge rückt auch immer mehr das Abtränkeverfahren in den Vordergrund. Während man in Amerika meist eine One-step-Down-Methode, also das Abtränken in zwei Stufen propagierte, geht man in Europa mittlerweile von einer im Idealfall linearen Abtränkekurve aus. Und das am besten über 5 und mehr Wochen und idealerweise so, dass die Kälber überhaupt nicht mitbekommen, dass sie abgetränkt wurden.
Digitales Aufzuchtmodell individualisiert Startermenge
Ein neuer Ansatz kommt von der Universität Vermont. Prof. Joa Costa stellte mit seinem Team ein digitales Aufzuchtmodell vor, bei dem neben der Milch auch die Kälberstartermenge individuell auf jedes einzelne Kalb und seine Entwicklung abgestimmt wird. In diesem System spielt auch die Früherkennung von Erkrankungen eine wichtige Rolle. So soll es möglich sein, im aufziehenden Krankheitsfall die Milch- bzw. Tränkemenge wieder zu erhöhen, Futteradditive wie Probiotika, Postbiotika oder Butyrat hinzumischen zu können und damit auch eine Rekonvaleszenz-Funktion anzusteuern. Das ganze System soll vollkommen autark arbeiten und die bisher relativ gehäuft auftretenden „Fehlalarme“ stark reduzieren können.
Wie gut beispielsweise Zusätze zur Tränke funktionieren können, zeigt aktuell eine Studie der Uni Hohenheim: Dort wurden 49 Kälber einer Versuchsgruppe ab Geburt 10 Tage lang 10 ml einer Hefekultur-Lösung (Liquidee Gut, Fa.Quidee) oral verabreicht und die Gewichtsentwicklung mit 49 weiblichen Kälbern am 21. Lebenstag verglichen. Die Futtereffizienz war um gut 14 % besser und die Versuchskälber nahmen 120 g täglich mehr zu.
Kälberdurchfälle – ein Evergreen
Es gibt sie solange es schon Kälber gibt: Die Neugeborenendurchfälle. Jeder Landwirt kennt sie aus leidvoller Erfahrung und fast bekommt man den Eindruck, sie sind einfach unvermeidlich. Aber dem ist beileibe nicht so. Der Schlüssel zum Erfolg einer nahezu durchfallfreien und reibungslosen Aufzucht liegt im Biestmilchmanagement und das ist leider – nach allen aktuellen Statistiken – auf vielen Betrieben immer noch ein ernst zu nehmendes Problem.
Das es auch anders geht, zeigte Dr. Dave Renaud von der Universität Guelph aus Kanada. Dort nahmen in einem Pilotprojekt, das von der Interessensgemeinschaft „Veal farmer of Ontario“ begleitet wurde rund 20 Landwirte teil. In Round-tables wurde regelmäßig gemeinsam über die Problematik „Durchfälle“ diskutiert, angereichert durch Fachvorträge von Seiten der Universität und durch ein „Bench-Mark“ Report, der den Teilnehmern zeigte, wie gut sich die einzelnen Betriebe weiterentwickeln. Speziell der Anreiz über die Vergleichsreports führten dazu, dass die Landwirte stetig versuchten, sich zu verbessern. Am Ende des 2-jährigen Projektes hatten sich alle Betriebe zum Teil erheblich nach vorne gebracht. So sank die Fehlerrate des Immunglobulin-Übergangs aus der Biestmilch ins Blut dramatisch ab. Waren vorher nur etwa 4 von 10 Kälbern unzureichend versorgt, sank die Fehlerquote um 50%. Ein enormer Erfolg, der erhebliche Langzeitauswirkungen auf die ungestörte Kälberentwicklung haben wird. In Deutschland dagegen hat sich die Situation über die letzten 15 Jahre leider um fast 50% verschlechtert.
Fachwissen kommt in der Praxis nicht an
Dieses Dilemma zeigt schonungslos auf, dass viel Fachwissen auf dem Weg in die Praxis verloren geht und noch nicht richtig umgesetzt wird. In Zukunft sind deshalb so positive Projektbeispiele wie aus Kanada notwendig um die Kehrtwende im Kälberdurchfall und damit letztlich auch im Bereich der Atemwegserkrankungen zu schaffen. Beides hängt sehr eng zusammen. Nur ein konzertierter Ansatz über alle beteiligten Partner aus Industrie, Beratung, Wissenschaft, Landwirten und praktischen Tierärzten ist letztlich zielführend. In diesem Sinne hat die dritte Smart Calf Rearing Conference einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung aufzeigen können.
Euer Kälberblogger
Peter Zieger