Lange hatte ich darauf gewartet, nun endlich ist für mich ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen: Eine Studienreise in das Land der aufgehenden Sonne – China!
Eastern Experience – wenn einem im Osten ein „Licht aufgeht“...
Lange hatte ich darauf gewartet, nun endlich ist für mich ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen: Eine Studienreise in das Land der aufgehenden Sonne – China!
China ist eines der bevölkerungsreichsten Länder dieser Erde und gleichzeitig auch mit gut 6 Mio. Kühen eines der wichtigsten Milchproduzenten. Bei knapp 1 Mrd. Leute meint man auf den ersten Blick, dass die Milchprodukte dort keine große Rolle spielen. Doch diese Annahme täuscht. Der chinesische Staat hat in den letzten 20 Jahren ein beispielloses Programm zur Steigerung der heimischen Milchproduktion gestartet. 70% der Milch kommt von staatlich betriebenen Milchfarmen, 30% von privaten Bauern oder Investoren. Überall im Land entstanden im Zuge der „Milchindustrialisierung“ sogenannte „Megafarms“ mit mehreren tauschend Kühen und naheliegenden Verarbeitungszentren. Dabei haben speziell diese Farmen mittlerweile ein sehr hohes Leistungsniveau erzielt. Man geht in der Summe von fast 700 Betrieben aus, die im Schnitt zwischen fünf- und sechstausend Milchkühe halten. Viele dieser Betriebe erreichen eine durchschnittliche Milchleistung von 40 kg und mehr. Ein Grund mehr für mich, mir auch dort die Kälberaufzucht näher anzuschauen.
Nach den anfänglichen Importen von vor rund 20 Jahren von Holstein Frisian-Kühen hat sich mittlerweile eine eigene Zuchtlinie entwickelt. Die Kälber werden im Vergleich zu unseren Kälbern mit durchschnittlich 35 – 37 kg etwas leichter geboren, die männlichen meist am zweiten Lebenstag zur weiteren Mast weiterverkauft. Die weiblichen Kälber bekommen am ersten Lebenstag insgesamt 6 Liter Kolostrum mit einem Mindest-Brix-Wert von mehr als 22-23 %. Meist wird die Menge (4 und 2 Liter im Abstand von 6 – 8 Stunden) gedrencht. So wird allgemein eine sehr hohe Erfolgsrate beim Übergang der passiven Immunität (Antikörper ins Blut) von 92 – 99 % erzielt. Danach wird unterschiedlich verfahren: Die besten Betriebe füttern bis zu 10 Tage lang „Transitmilch“, also die gesammelten Gemelke von frischlaktierenden Kühen nach der Erstkolostrum-Abgabe, bevor sie meist in die Vollmilchpulver (derzeit günstiger als Milchaustauscher)-Tränke einsteigen. Bereits ab Mitte der ersten Woche werden 6 – 8 Liter Tränke pro Tag angestrebt, in der zweiten Woche 10 – 12 Liter, oft auf 3 Mahlzeiten gesplittet. Bis zum Ende der 7ten Woche wird weiter intensiv gefüttert, eher über 9 Tage, bis zum 70ten Tag abgetränkt wird. Die Kälber am Tränkeautomaten (zunehmend im Kommen wegen des in vielen Regionen auch vorkommenden Facharbeitermangels, speziell in der Landwirtschaft) werden bereits nach 3 Tagen an den Automaten gewöhnt, in kleineren Gruppen von maximal 12-15 Kälbern. Dort wird mit dem 40FIT- Fütterungsprogramm ein adlib-Programm gestartet, das über die darauffolgenden 3 – 5 Wochen „gefahren wird“, bevor dann am Ende über ebenfalls 9 Tage kontinuierlich abgetränkt wird. Die Kälber zeigen am Tränkeautomaten Tageszunahmen von im Schnitt 900 bis 950 g bei sehr geringer Variation. In den Iglus sind die Zunahmen im Allgemeinen um rund 10 % geringer. Durchfallraten belaufen sich bei rund 2 %, Atemwegsprobleme bis zum Absetzen bei etwa 3 – 5 %.
Das sind sehr erstaunliche Zahlen! Und das obwohl die Chinesen weder eine Muttertierimpfung, noch eine Grippeimpfung bei den Neugeborenen und Rindern kennen. Lediglich die Kühe bekommen eine BVD- und Clostridienschutzimpfung: That`s all! Die Erfolge der chinesischen Kälberaufzucht – es gibt dort auch kein zugelassenes Medikament gegen Kryptosporidiose-Durchfall – geben mir noch mehr als zuvor zu denken – und haben mir die Bedeutung der optimalen Transithaltung sowie des perfekten Kolostrum-Managements für gesunde Kälber nochmals sehr drastisch vor Augen geführt.
Alle sieben besuchten Großbetriebe haben ein ganz hervorragendes Transitmanagement. Die Kühe werden in Zweireiher oder in Kompostställen gehalten und kommen ganz entspannt zum Abkalben. Penibel wird der Nabel mit reichlich Kaliumjodid-Lösung desinfiziert, um Nabelinfektionen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Gelingt dann noch ein optimales Kolostrum-Management mit intensiver Tränkemenge im Anschluss, zeigt es sich, dass man die bei uns so berüchtigten und leider viel zu häufigen Neugeborenen-Erkrankungen so gut wie nicht kennt.
Wenn ich das alles reflektiere, fällt es mir wie Schuppen von den Augen, wo unsere Schwachstellen liegen und dass wir leider im Allgemeinen bei unseren Kälbern aus den folgenden Gründen so viel Potential liegen lassen:
- Nur die wenigsten Betriebe bei uns Kolostrum messen und achten darauf, dass die Kälber 6 Liter Top-Biestmilch in den ersten 8 Lebensstunden verabreicht bekommen.
- So gut wie niemand bei uns auf Herdenebene ermittelt von jedem weiblichen Kalb den erfolgreichen Übergang der Antikörper ins Blut. So bekommen wir ganz wenig Rückmeldungen zu den Routinen in der Kälberfütterung.
- Viele Betriebe bei uns verzichten aus den unterschiedlichsten Gründen auf die Transitmilchfütterung und lassen damit ¾ aller Antikörper, die die Mutterkuh fürs Kalb bestimmt hat, links liegen.
- Das Antränken mit täglich steigenden Milchmengen wird bei uns aus Angst vor Durchfall zu vorsichtig durchgeführt.
Schon seltsam manchmal, dass man ganz weit wegfahren muss, um zu erkennen, wo es bei uns zuhause hapern kann… ein Grund und Motivation mehr für mich, mich noch mehr und intensiver für noch gesündere Kälber einzusetzen. Wir sollten uns einfach wieder mal häufiger die Natur anschauen und bestehende Routinen reflektieren, am besten zusammen im Team mit Tierarzt und Futterberater und mehr messen, dann sehen wir auch die Erfolge objektiver!
In diesem Sinne, „ni-hao“
Euer Kälberblogger